Orangenhaine, einsame Kapellen, stille Weiler: Die Insel kann sich abseits der Massen ihre ursprüngliche Seite erhalten.
Loula rührt. Mit Hingabe zieht die Bäuerin den Holzstab durch die Ziegenmilch im Bottich. Niemals wird sie vergessen, zu Beginn der Käsebereitung ein Kreuz zu schlagen, damit der Haloumi - jener typisch zypriotische Ziegenkäse - wieder gut gelinge. So hat sie es von Mutter und Großmutter gelernt, so machen es ihre Schwestern. Loulas kleine Farm liegt nur rund zehn Kilometer von der Küste entfernt - und doch sind wir hier in einer anderen Welt.

Noch gibt es also dieses ursprüngliche Zypern mit seiner sprichwörtlichen Gastfreundschaft. Um in dörflicher Geborgenheit eine schon fast verloren geglaubte Welt zu entdecken, muss man sich nicht einmal allzuweit vom Trubel der Strände entfernen. "Agrotourismus" heißt das Zauberwort, mit dem halbverlassenen Dörfern in reizvoller Umgebung wieder neues Leben eingehaucht wurde. Als Pionier des ländlichen Tourismus' gilt Sofronis Potamitis. Nach seinem Wirtschaftsstudium in den USA ließ ihn die Idee nicht los, alte Dörfer und ihre traditionellen Steinhäuser zu erhalten, um Natur und Ruhe suchenden Gästen ein Refugium der Gelassenheit zu bieten. Dies sollte auch Motivation für jüngere Leute sein, nicht zwangsläufig in die Hotellerie der Strandregionen abzuwandern. Inzwischen sind die "Cyprus Villages" ein Begriff für naturnahe Ferien.

Bougainvillea rankt um Innenhöfe

Wir haben unser erstes Domizil in Tochni gewählt, das sich malerisch an zwei Hügeln hinaufzieht. Die liebevoll restaurierten Häuser des alten Dorfes bilden sozusagen die Keimzelle der "Cyprus Villages". Bougainvillea rankt um Innenhöfe. Holzbalkone und Terrassen, manchmal auch ein kleiner Swimmingpool laden zum Lesen und Faulenzen ein. Jedes Häuschen oder Apartment ist anders ausgestattet, immer geschmackvoll im traditionellen Stil. Bald schon kennt man im Dorf Krämer, Wirt und Popen, wünscht sich "Kalispera", einen "Guten Tag", und schaut im Kafenion den Männern beim Brettspiel zu.

Auch wer bei der Orangen- oder Olivenernte mithelfen möchte, ist in Tochni herzlich willkommen. Zu vitaminreichen Wanderungen verlocken ausgedehnte Zitrusplantagen mit leckeren Orangen und Mandarinen - Pflücken ausdrücklich erlaubt. Ein reizvolles Kontrastprogramm nach dieser grünen Oase dann die blendendweißen Klippen des Gouvenor's Beach: Schwimmen, lange Spaziergänge über die bizarren Kreidefelsen und natürlich leckeren Fisch mit Meerblick genießen. Zu den besonderen Erlebnissen gehört sicher ein Ausritt auf Naturpfaden in die Berge oder zum Strand. Auf Sofronis kleiner Ranch stehen neun Pferde für die Gäste bereit.

Szenenwechsel ins Troodos-Gebirge. Das kühle Herz der Insel steigt mit seinem höchsten Berg Olympos bis auf 1951 Meter an. Wie in anderen inzwischen für den Landtourismus entdeckten Gemeinden bröckelte auch im Bergdorf Kakopetria der alte Dorfkern bedenklich vor sich hin. Heute sind einige der traditionellen Lehmziegelhäuser in ein schnuckeliges Mini-Hotel, "Linos Inn", mit rustikalem Restaurant verwandelt. Hier kommen wir kaum noch aus den Wanderschuhen heraus - immer wieder locken neue Pfade. Spektakulär, die Caledonian Falls bei Pano Platres. Der muntere Bach, der nach zwei Kilometern mit mächtigem Getöse über eine Felskante stürzt, sucht seinen Weg durch urwaldgrüne Schluchten. Auf gut 1700 Metern umrunden wir den Olympos durch dichten Schwarzkiefernwald mit herrlichen Panoramablicken. Aber neben der großartigen Natur birgt die Waldlandschaft andere Schätze: Klöster und byzantinische Bergkirchen mit wunderbar erhaltenen Fresken, von denen eine ganze Reihe in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen wurden. Eines der kleinen Gotteshäuser ist schöner als das andere. Mitten im Wald steht die Kapelle Panagia Forviotissa tis Asinou, über die Papas Stelianos mit seinem Schlüssel wacht. Wir staunen über die frischen Farben des mit biblischen Geschichten ausgemalten Kirchleins, die schon mehr als 800 Jahre lang der Witterung trotzen.

Den Abschluss unserer Entdeckungstour durch das ländliche Zypern krönt als landschaftlicher Höhepunkt die Halbinsel Akamas. Auch in Zyperns wildem Westen gibt es wunderschöne traditionelle Ferienhäuser. In Goudi, Kritou Tera oder Kato Akourdalia etwa, wo alte Gehöfte restauriert und landestypisch umgestaltet wurden.

Vogelkunde und Landrover-Touren

Dem kleinen Naturparadies sollte man sich behutsam nähern. Am besten mit einem, der diesen faszinierenden, schützenswerten Inselzipfel so liebt wie Christos Charalambous. Im winzigen Dörfchen Ineia aufgewachsen, hat er in Zürich Geologie studiert und stieg als leidenschaftlicher Umweltschützer in den sanften Tourismus ein. So kann er seinen deutschen Gästen die einmalige Tier- und Pflanzenwelt ohne Sprachprobleme nahe bringen - ob für einwöchige Wanderreisen oder Tagestouren, vogelkundliche Führungen oder Landrover-Natur-Touren. Mit Christos erleben wir intensiv die herb-schöne Landschaft abseits der Asphaltstraßen. Selbst seinen Geländewagen, so scheint es, lässt er auf Zehenspitzen über die staubigen Pisten rollen. Hohe Kreidefelsen türmen sich auf, Ziegenherden stürmen von steilen Hügeln, silbern flimmert das Meer in der Ferne. Wacholder, Ginster und Zistrosen bedecken die Hänge, Christos erklärt Pflanzen und Gestein, nichts entgeht seinen Argusaugen: weder Distelfinken noch Haubenlerchen, Turmfalken oder Felsentauben. Rund 380 Vogelsorten leben hier - vom Bienenfresser bis zum Wiedehopf.

Wir sehen unendlich viel an diesem Tag: Die Larabucht, in der im Sommer Schildkröten ihre Eier ablegen, das Bad der Aphrodite und die Avakos-Schlucht. Wir schnuppern Wildkräuter, fahren durch Bananenplantagen und rasten in Maria's Dorfkneipe in Fiti. Der Pope sitzt beim Tässchen Kaffee, nickt uns zu und verschwindet kurz in seiner Kirche. Mit einem Silberkännchen kommt er zurück, schüttet Rosenwasser über unsere Hände und murmelt einen Segensspruch. Eine Geste der Gastfreundschaft sei das.

Dann tafelt Maria auf. Vom Sesam-Dip Tachini bis zur Fischrogenpaste Tamasalata, von gegrilltem Haloumi bis zur Kichererbsenpaste Houmous reicht die Tafel. Himmlisch! So gut kann "Agrotourismus" schmecken.

Berliner Morgenpost (Von Monika Zeller)