Entfremdung in einem geteilten Land
Zweieinhalb Jahre nach dem EU-Beitritt scheinen sich die Volksgruppen auf Zypern voneinander zu entfernen

Im Süden Zyperns ist die an einen Berghang gemalte türkisch-zypriotische Flagge weithin sichtbar. Foto: czar


Tausende Menschen passieren täglich die Grenze, die das EU-Mitglied Zypern in zwei Teile schneidet (im Bild der Übergang im Zentrum Nikosias). Foto: epa/Christodoulou

Von Martyna Czarnowska


"WZ"-Reportage: Enttäuschung auf Nordzypern.
Wirtschaftsaufschwung beiderseits – aber getrennt.

Nikosia/Kyrenia. Der Zöllner nickt verständnisvoll. "Sie wollen keinen Stempel in Ihren Pass?" Kein Problem. Einen A5-Zettel ausfüllen, Namen und Passnummer angeben, zum Stempeln abgeben. Schon ist die Einreise in die Türkische Republik Nordzypern am Flughafen Ercan erledigt. "Aber das Visum nicht verlieren", ermahnt der Zöllner noch.
Der Mann weiß um die Schwierigkeiten Bescheid, die Besucher aus dem Norden hatten, wenn sie mit einem Sichtvermerk im Pass in den Süden fuhren. Denn er arbeitet für einen Staat, der weder von der Republik Zypern noch von einem anderen Land der Welt anerkannt wird – mit Ausnahme der Türkei. So sehen die Behörden im Süden die Einreise über den Norden als illegal an, auch wenn sich die Lage seit der Öffnung der Grenzen vor dreieinhalb Jahren etwas entspannt hat.

Der Flughafen Ercan ist knappe 20 Kilometer von der zypriotischen Hauptstadt Nikosia entfernt. Vor drei Jahren erst wurde das glitzernde Glasgebäude rundum erneuert, der Airport entspricht allen internationalen Standards. Angeflogen wird er dennoch nur von Ankara, Istanbul oder Izmir. Denn das Embargo, das über den Norden der seit 1974 zweigeteilten Insel verhängt ist, schränkt auch Direktflüge ein.

Damals marschierten türkische Truppen auf Zypern ein, nach blutigen Auseinandersetzungen zwischen griechischen und türkischen Zyprioten und als Reaktion auf einen von der griechischen Militärjunta gesteuerten Putschversuch. Wie Griechenland und Großbritannien wurde die Türkei nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft im Jahr 1960 zur Garantiemacht für Zypern. Ihren Einmarsch begründete sie damit, die türkischen Zyprioten vor Ausschreitungen schützen zu wollen. Für die griechischen Zyprioten ist sie schlicht eine Besatzungsmacht.

Mit der Ausrufung der Türkischen Republik Nordzypern wurde die Teilung der Insel 1983 einzementiert, ein von den Vereinten Nationen (UNO) ausgearbeiteter Plan zur Wiedervereinigung scheiterte 2004. Zypern trat als geteilte Insel der EU bei. Noch immer sind dort UN-, griechische und türkische Soldaten stationiert. Insgesamt bis zu 50.000 Mann. Erst vor wenigen Wochen wurde die letzte Mine im Großraum Nikosia entschärft. Doch noch immer liegen dutzende Minenfelder in der 180 Kilometer langen Pufferzone, die quer durch Zypern – und mitten durch die Hauptstadt – verläuft.

Sichtbarer Wohlstand
"Ach was, das Zypern-Problem." Der Musiker Stavros macht eine wegwerfende Handbewegung. "Das ist doch schon seit 30 Jahren gelöst: Wir leben hier, und die leben drüben." Er deutet auf den Stacheldrahtzaun, der gegenüber des Restaurants in Nikosia die Grenze zum türkischen Teil markiert. Doch sein Desinteresse hält nur kurz an. Gleich erzählt er davon, dass selbstverständlich auch er türkisch-zypriotische Freunde habe, dass es zwischen den Menschen keine Probleme gebe und diese nur von den Politikern und fremden Mächten geschaffen werden, die ihre eigenen Interessen auf Zypern mit seiner günstigen geostrategischen Lage verfolgen. Auf Zypern hat so gut wie jeder seine Theorie zu Zypern.

Teilweise hat Stavros aber recht: Zweieinhalb Jahre nach dem EU-Beitritt scheinen die beiden Gemeinschaften sich voneinander zu entfernen - trotz der Vermittlungsbemühungen der UNO und etlicher NGOs, trotz zahlreicher Projekte, die sich bikommunal nennen und obwohl bereits zehntausende türkische Zyprioten den EU-Pass im Süden beantragt haben oder dort arbeiten. Die Enttäuschung türkischer Zyprioten, beim Referendum über den UN-Wiedervereinigungsplan mit Ja gestimmt zu haben und dennoch keine vollwertigen Mitglieder der EU geworden zu sein, ist groß. Und die griechischen Zyprioten haben einer Aufhebung des Embargos gegen den Norden bisher nicht zugestimmt.

Im Süden ist der Wohlstand der letzten Jahre, zu dem nicht zuletzt die fast 2,5 Millionen Touristen jährlich beitragen, deutlich zu sehen. Auch an den ausländischen Arbeitskräften, die die griechischen Zyprioten ins Land holen. Mittlerweile können sich viele Familien philippinische Haushaltshilfen und Kindermädchen leisten; Osteuropäer sind auf dem Bau beschäftigt. Zahlreiche Russinnen, Ukrainerinnen und Moldawierinnen arbeiten in den Bars und Nightclubs. Jeder zehnte Mensch auf Südzypern ist Ausländer.

Doch ebenso im Norden ist der wirtschaftliche Aufschwung spürbar – auch wenn der Handel über die Türkei abgewickelt werden muss, von der Nordzypern finanziell vollkommen abhängig ist. Und so lange der Inselteil isoliert ist, bleibt auch gar nicht anderes über, als sich auf die Türkei auszurichten.

Von Türkei abhängig
Dennoch will Erdil Nami nicht über die wirtschaftliche Entwicklung im Norden klagen. Der Präsident der türkisch-zypriotischen Handelskammer verweist auf das Wachstum: satte zehn Prozent. Bei gleich bleibenden Wachstumsraten wäre der Süden in 25 Jahren aufgeholt. Schon jetzt hätten sich die Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen stark verringert: Machte dieses vor vier Jahren noch ein Viertel des Einkommens im Süden aus, so betrage es jetzt die Hälfte.

Die meisten Einnahmen stammen aus der Bildung und dem Tourismus: jeweils an die 215 Millionen Dollar jährlich. Doch sie könnten zumindest verdoppelt werden, meint Nami. Immerhin sind fünf Universitäten im Norden untergebracht, und eine Million Touristen im Jahr könnte der Inselteil schon vertragen. Bisher kommen im Schnitt 300.000 Menschen. Sie fliegen über die Türkei oder landen in Larnaka, im Süden. Mittlerweile sind fünf Grenzübergänge geöffnet, durch die Besucher in den Norden kommen können.

Eine weitere Einnahmenquelle ist der Immobilienhandel, der gleichzeitig die Baubranche boomen lässt. "Wir verkaufen unser Land an Ausländer", sagt Nami. Und wenn die Grundstücke griechischen Zyprioten gehören, von denen fast 200.000 in den 70er-Jahren vertrieben wurden? "Wie lange sollen wir denn noch auf eine Lösung warten?" antwortet Nami mit einer Gegenfrage.

Die ungeklärten Eigentumsverhältnisse stören israelische Investoren und britische Immobilienmakler kaum. In den Hafenstädten Kyrenia und Famagusta mit ihren blinkenden Kasinos sowie an den Küstenstraßen auf der lang gezogenen Karpasia-Halbinsel werben sie in englischer Sprache für den Erwerb von Appartements in eilig hochgezogenen Feriensiedlungen. Wie viele von ihnen nur der Geldwäsche dienen, ist nicht klar.

Nur wenige Kilometer entfernt, im Landesinneren, liegen die von griechischen Zyprioten verlassenen Dörfer. Einige Häuser verfallen seit 30 Jahren, in andere sind türkische Siedler aus dem Festland gezogen. Die orthodoxen Kirchen sind geschlossen und ungepflegt, in den Friedhöfen, wo die Kreuze mit den griechischen Aufschriften stehen, wuchert das Unkraut.

Solche verlassenen Dörfer gibt es auch im Süden. Denn auch von dort sind Menschen geflohen: türkische Zyprioten, die ebenfalls ihre Moscheen, Häuser und Weingärten zurückgelassen haben.

Die Fragen der Flüchtlings-Rückkehr und der Rückgabe des Eigentums der Vetriebenen sind noch völlig ungeklärt. Ebenso offen ist das Schicksal der rund 150.000 Festland-Türken, die auf Nordzypern angesiedelt wurden. Südzypern würde den Großteil von ihnen am liebsten zur Rückkehr in die Türkei überreden.

Nicht verheilte Wunden
Noch sind die Wunden auf Zypern, die in den letzten 40 Jahren geschlagen wurden, nicht verheilt. Selbst Kinder lernen noch von der Feindschaft zwischen Griechenland und der Türkei, versichern der griechische Zypriote Iannis und der türkische Zypriote Ümit.

Bevor die Grenzen geöffnet wurden, freute sich Iannis darauf, seine Freunde im Norden besuchen zu können. Sein zehnjähriger Sohn sah ihn mit Skepsis an. "Was ist, wenn sie dich im Fernsehen zeigen?" fragte er. "Ja und?" meinte der Vater. "Dann wissen doch alle, dass du ein Verräter bist, weil du dorthin reist", sagte der Sohn.

Ümit hörte seine achtjährige Tochter vor kurzem ein türkisches Militärlied trällern. "Wo hast du das her?" wollte er wissen. Den Marsch musste er während seiner Militärzeit singen – und konnte ihn nicht ausstehen. "Das haben wir im Musikunterricht gelernt", antwortete das Kind.



Dienstag, 26. Dezember 2006

Quelle: http://www.wienerzeitung.at/DesktopD...wzo&cob=263051