Ende Januar 2020: Eine Meldung in den Nachrichten, dass bei Webasto eine chinesische Mitarbeiterin andere mit einem „Corona-Virus“ infiziert hat. Der erste Fall in Deutschland.

Wir haben für Anfang März einen Urlaub in Nordzypern gebucht, Mama, Papa und unser Kleinster, keine zweieinhalb Jahre alt. Die beiden älteren Kinder sind nicht mit dabei, die haben Schule. Damals waren sie knapp 13 und gut 18 Jahre alt, da geht das schon für ein paar Tage.

Dienstag, 3.März: Ankunft Nordzypern. Erfahrung aus vergangenen Auslandsaufenthalten macht klug, deshalb kaufe ich als allererstes eine SIM-Karte, um Internet zu haben. Kein Mitarbeiter der Autovermietung „Cyprus Elite Rentals“ in Sicht, auch kein Schalter der Firma in der Ankunftshalle. Am Flughafengelände selbst gibt es nur drei Autovermiet-Büros. Ich klopfe bei „Budget“ an und frage nach der Firma. Ist unbekannt. Ich suche die Kontaktdaten im Handy raus, der freundliche Mitarbeiter ruft gleich dort an, obwohl das ja die Konkurrenz ist. Man hat uns wohl vergessen, wir sollen in dem kleinen Cafe vor dem Flughafengebäude warten, jemand wird uns holen. Eine halbe Stunde später irrt ein Taxifahrer vorbei, er ist offenbar die Abholung. Spricht aber leider lediglich ein paar Wörter Englisch. Ich zeig ihm den Namen der Autovermietung, er nickt – dann wird’s schon passen. Nachdem wir in die Hauptstadt Nikosia hinein- und danach aber wieder herausgefahren sind, versuche ich doch, ein paar Infos aus ihm raus zu kitzeln. Aber wir können uns nicht ausreichend verständigen. Er zückt schließlich das Handy, ruft irgendwo an und gibt mir das Telefon weiter. Es ist die Autovermietung. Sie hat kein Büro in der Hauptstadt. Man hat tatsächlich vergessen, uns am Flughafen abzuholen. Die Firma ist mitten in einer Renovierung. Der Taxifahrer bringt uns aber überall hin, wo wir hinwollen. Wir sollen nur das Geld für die Fahrt einstweilen auslegen. Na schön, kann passieren. Das Taxi hält schließlich eine halbe Stunde später mitten in Girne/Kyrenia an einer Tankstelle, der Fahrer fragt ein paar Leute. Das kann doch unmöglich unser Hotel sein? Schließlich glaube ich zu verstehen, dass er das Büro der Vermietfirma sucht. Ruft erneut an, gibt mir wieder das Telefon. Das Büro hat heute schon geschlossen, man bringt uns das Auto aber morgen früh ins Hotel. Ich sag der Dame, dass sie doch bitte den Fahrer instruieren soll, dass er uns ins richtige Hotel fährt. Scheint zu klappen. Es geht nochmal mindestens eine halbe Stunde lang an der Küste entlang, bis wir in der einbrechenden Dunkelheit schließlich am Hotel sind. Knapp 80€ haben wir „verfahren“ Ob ich das Geld wiedersehen werde?
Mittwoch 4.März: Nach dem Frühstücksbuffet ist der Fahrer der Autovermietung da, auch das ausgelegte Geld erhalte ich in bar zurück. Klappt doch alles, jetzt kann der Urlaub beginnen.

Donnerstag 5.März: Wir wollen am Grenzübergang Ledra Street den griechischen Teil Zyperns besuchen und erfahren, dass der Übergang seit Ende Februar geschlossen ist, um eine mögliche „Covid19“ Verbreitung zu stoppen (ist offensichtlich das Gleiche wie „Corona“). Vier der insgesamt neun Übergänge zwischen dem Nord- und Südteil sind seither geschlossen. Der Übergang Ledra Palace hat aber noch geöffnet. Also immer am Grenzzaun entlang bis zum nächsten Übergang. Die türkischen Grenzer winken uns durch. Irgendwie surreal, dass man dann einige hundert Meter durch UN-kontrolliertes Niemandsland läuft. Am griechisch-zyprischen Checkpoint nun Ausweis vorzeigen, Temperatur mit einem kontaktlosen Thermometer an der Stirn messen lassen (das sehen wir hier zum ersten Mal) und schon sind wir „drüben“. Auffallend viele Leute tragen hier Gesichtsmasken. Noch ein ungewohnter Anblick für uns.
Auffallend ist, dass relativ wenig Touristen unterwegs sind.
Montag 9.März: Der griechische Teil Zyperns meldet die ersten beiden Corona-Fälle.
Dienstag 10.März: Nun hat auch der türkische Teil den ersten bestätigten Covid-Fall, ausgerechnet ein Tourist aus Deutschland. Alle Massenveranstaltungen sind abgesagt, das Zentralhospital in der Hauptstadt wurde vorsorglich für mindestens 48 Stunden geschlossen.
Der Jüngere unserer beiden Schüler darf heute nicht zur Schule, weil in der 7.Klasse ein Corona-Fall aufgetreten ist. Im Fernsehen spricht ein (mir bislang unbekannter) Jens Spahn diese Worte in die Mikros: „"Wir stehen am Anfang einer Covid-19 Epidemie"“

Mittwoch 11.März: Ab heute sind beide Kinder zuhause, das Gymnasium bleibt bis auf Weiteres geschlossen. Es gab wohl mehrere Krankheitsfälle. Wird Zeit, dass wir nach Hause kommen. Aber übermorgen ist es ja soweit.
Donnerstag 12.März: Die WHO stuft Covid19 als Pandemie ein. Man merkt den Menschen an, dass Unruhe sich breit macht. Die Tische beim Frühstücksbuffet sind nur sporadisch besetzt, jeder versucht möglichst auf Abstand zu gehen. Dann hören wir noch, dass Einreisende aus Deutschland nun 14 Tage in Quarantäne müssen. Bei einem 10-Tage-Urlaub, wie bei uns, sicherlich toll…
Wir beschließen, dass wir uns für die Rückreise Desinfektionsmittel besorgen sollten. Ich mache mich alleine auf den Weg. In den ersten beiden Apotheken ist alles ausverkauft. In der dritten bekomme ich eine kleine Flasche. Die Frau nach mir fragt ebenfalls nach Desinfektionsmittel – „ist ausverkauft“ höre ich noch beim Rausgehen. Als ich zurückkomme ist meine Frau ziemlich aufgelöst. Sie hat eben erfahren, dass ihre ecuadorianische Schwester, die in Spanien wohnt aber momentan auf Heimaturlaub ist, noch nicht weiss, ob Sie überhaupt am 15.März zurückfliegen kann, da gestern in Ecuador der „medizinische Katastrophenfall“ ausgerufen wurde. „Die Situation ist sehr schlimm“, sagt sie. Nun wollen wir uns auch noch mit Gesichtsmasken eindecken. Ich fahre nochmal los, klappere wieder einige Apotheken ab, bekomme schließlich wieder „gerade-noch-so“ zwei der letzten verfügbaren und sogar eine für Kinder. Am Nachmittag fahren wir nochmal los, um ein paar Sachen für den Rückflug einzukaufen. Einige Geschäfte haben schon gar nicht mehr offen, in den anderen ist deutlich weniger los als sonst. Wir versuchen nochmal, Desinfektionsmittel zu kaufen, keine Chance. Beim Mittagessen schnappe ich zum ersten Mal das Gerücht auf, dass die Grenzen geschlossen werden sollen. Die Fieberkurve steigt, nun werde ich auch allmählich etwas nervös. Was, wenn wir nicht mehr zurückkommen? Die beiden anderen Kinder allein zu Hause, Schulen geschlossen!

Freitag 13.März: Angeblich sollen die bayerischen Schulen bis nach den Osterferien (die am 6.April beginnen) geschlossen bleiben.
Frühmorgens um 5 Uhr werden wir vom Mietwagenverleiher abgeholt, er bringt uns zum Flughafen. Von jetzt ab haben wir in der Öffentlichkeit immer Gesichtsmasken auf, ein total ungewohntes Gefühl – wohl nicht nur für uns, sondern auch für das Gegenüber. Zum ersten Mal in unserem Urlaub ist hier in Nordzypern richtig schlechtes Wetter, Regen und Wind. Am Flughafen kaum Leute, der Checkin Schalter von Pegasus Airlines geschlossen. Zusammen mit fünf anderen Passagieren stehen wir recht ratlos herum, bis schließlich ein Mitarbeiter der Fluglinie auftaucht. Ob wir denn nicht angerufen worden wären, dass der Flug heute wegen des schlechten Wetters ausfällt? Offenbar nicht, sonst wären wir ja nicht hier! Ob er uns für eine andere Zeit umbuchen kann? Er sucht im Computer, seine Miene wird nachdenklich: „Das Problem ist, dass ich Sie nur bis Istanbul einchecken könnte. Von dort kommen Sie aber momentan nicht weiter. Es gibt keine Flüge von dort nach München, weder heute, noch in den nächsten Tagen“. Wie bitte? Das darf doch nicht wahr sein! Ob es keine anderen Flüge gibt? Nein, von Nordzypern aus wird nur die Türkei angeflogen. Wie es nun weitergeht, kann er nicht sagen. Wir sollen uns an die Telefonhotline von Pegasus wenden, er gibt uns die Nummer. Zusammen mit den anderen fünf Gestrandeten lotst er uns schließlich zum Passagierbus der Airline, die uns zu einem Hotel bringen soll. Man sagt uns schließlich zu, dass wir im Laufe des Tages einen Anruf erhalten, wann und wie es weiter geht. Das Hotel liegt wieder auf der anderen Seite des Besparmak-Gebirges, die Fahrt dauert ewig. Wenigstens schläft unser Kleinster. Wir landen im Merit Crystal Cove Hotel in Girne/Kyrenia. Schönes Hotel, bei dem Regenwetter zumindest ein kleiner Trost. Wir wollen erst mal frühstücken und dann etwas Schlaf nachholen. Die Hotel-Reservierung geht bis 14 Uhr, bis dahin haben wir einigermaßen Ruhe. Beim Frühstück komme ich mit einer Frau ins Gespäch, die erzählt, dass sie auf dem Weg nach Oslo wäre zu Ihrer Hochzeit. Auch schlecht, wenn man da zu spät kommt, denke ich mir, und halte Sie für eine Norwegerin. Wir machen noch aus, dass wir uns gegenseitig verständigen, sobald eine Information von Pegasus eintrifft.
An Schlaf ist nicht zu denken. Zum einen ist der Kleine jetzt wach, zum anderen treibt einem die Sorge um, ob und wie es jetzt weitergeht. Ich rufe die Nummer der Hotline an, Warteschleife. Nach einiger Zeit fällt man raus, nächster Anruf. So geht es immer weiter, stundenlang. Später frage ich an der Rezeption nach der Nummer des Pegasus-Büros am Flughafen. Ich bekomme sie, aber da geht keiner ans Telefon. Um 14 Uhr räumen wir schließlich unser Zimmer und warten in der Lobby auf weitere Infos. Auch die anderen Leidgenossen haben keine Info von der Fluglinie erhalten. Irgendwann taucht ein Agent auf, den Pegasus geschickt hat. Er telefoniert viel und lang auf dem Handy, bringt aber auch keine verwertbaren Informationen zusammen. Zwischendurch gilt es auch noch, unseren Kleinen zu unterhalten. Draussen regnet’s, aber im Untergeschoss gibt es ein Spielzimmer. Wir sind die einzigen Besucher.
Zwei Engländer beschließen, dass Sie später auf gut Glück zum Flughafen fahren und versuchen, mit dem Abendflug von Pegasus nach Istanbul zu kommen. Von dort gibt es zumindest mehr Möglichkeiten als von hier. Da haben sie wohl nicht ganz Unrecht, und wir beschließen, mit Ihnen zu fahren. Die vermeintliche Norwegerin sagt, dass Sie lieber nach Hause fährt. Es sei wohl ein Zeichen des Himmels das ihr sagt, dass sie nicht heiraten soll. Wie sich herausstellt ist sie aus Nordzypern. Covid verhindert also auch Hochzeiten.
Am Flughafen Menschenmassen soweit das Auge reicht. Die Warteschlange vor der Sicherheitskontrolle reicht aus dem Flughafengebäude heraus und halb ums Gebäude herum. Könnte zeitlich knapp werden, obwohl wir früh dran sind. Wir stellen uns also an, mit Gesichtsmaske, Gepäck und quengelndem Kleinkind. Ein wahres Vergnügen. Kurz vor Abflug sind wir durch. Als ich die Schlange am Check-In-Schalter sehe ist mir schon klar, dass das Nichts wird. Ich begebe mich gleich an den Ticket-Schalter am Büro von Pegasus. Auch hier warten schon einige Passagiere vor mir. Wohl aufgrund des Flugausfalls von heute morgen versuchen einige, mit der Abendmaschine mitzukommen. Ich frage den kurz angebundenen Mitarbeiter, wie es weitergeht. Er kann mir aber auch wenig sagen – ich soll mich an die Telefonhotline wenden. Ich sage ihm, dass ich das stundenlang versucht habe, aber er meint, dass es jetzt um die Zeit schon klappen müsste. Dann kläre ich noch die Frage mit dem Hotel. Wir bekommen wieder das Crew-Hotel angeboten. Eines in Flughafennähe wäre mir lieber gewesen, der Kleine ist schon völlig fertig, der muss dringend ins Bett. Aber es gibt nur dieses Vertragshotel und schlecht war es ja nicht. Allerdings ist der Crew-Bus schon weg, wir müssen uns ein Taxi nehmen. Ob ich die Kosten erstattet bekomme, frage ich. Ja, die Rechnung soll ich online einreichen. Dann ist er auch schon weg.
Die Information sickert durch, dass ab 21.März 3:00 Uhr alle Flüge von und nach Zypern eingestellt werden. Außerdem werden zwei Wochen lang keine Touristen mehr ins Land gelassen. Spätestens jetzt ist klar: Es muss eine schnelle Lösung her.
Wir nehmen also ein Taxi, der Kleine schläft sofort ein. Unterwegs überlege ich fieberhaft, wie wir das mit dem Flug anstellen. Istanbul ist ja schon mal besser als Ercan (das ist der nordzyprische Flughafen). Aber wenn wir da dann stecken bleiben? Hotels sind dort wohl eher teurer als hier und notfalls müssen wir ja auch noch einen weiteren Flug kaufen. Den Schlafmangel merke ich mittlerweile auch, es fällt schwer einen klaren Gedanken zu fassen oder eine Entscheidung zu treffen. Zumindest denke ich noch daran, mir vom Taxifahrer eine Quittung geben zu lassen.
Am Hotel angekommen, weiss man nichts von uns. Die Rezeption telefoniert mehrmals mit dem Büro von Pegasus, bis wir schließlich ein Zimmer bekommen. Für Abendessen ist es zu spät, das Restaurant ist mittlerweile geschlossen. Auch draußen gibt es nichts Passendes in Laufweite. Wir lassen uns vom Zimmerservice etwas bringen, der Kleine ist wieder aufgewacht. Er hat einen heißen Kopf – der wird sich doch nicht angesteckt haben, schießt es uns durch den Kopf. Wäre ein ganz schlechter Zeitpunkt, dann kommen wir hier nie weg! Könnte aber auch an fehlendem Schlaf oder zu wenig trinken liegen. Hunger hat er keinen, aber er trinkt viel. Könnte dann schon Letzteres gewesen sein. Ich versuche in der Zwischenzeit wieder, die Hotline zu erreichen und gleichzeitig über Internet beim Reisebüro oder ebenfalls bei der Fluglinie etwas zu erreichen. Schließlich komme ich tatsächlich telefonisch durch. Wie vermutet, gibt es keine Flüge von Istanbul nach München, da keine Flugzeuge aus dem nicht-europäischen Ausland mehr in Deutschland landen dürfen. Ob ich bis Istanbul einchecken möchte, oder die Flüge stornieren. „Lassen Sie mich kurz überlegen“ sage ich, weil ich erst die Alternativen überdenken möchte. „Melden Sie sich dann nochmal“ sagt die Hotline und legt auf. So war das eigentlich nicht gedacht, aber jetzt ist’s zu spät. Ich schaue im Internet nach Alternativen. Nach Österreich vielleicht? Wenn wir da hängenbleiben, ist es wenigstens nicht mehr so weit nach Hause. Aber auch hier alles dicht. Allmählich macht sich Verzweiflung breit. Ich suche ziellos im Internet weiter, wie wir von Zypern nach München kommen könnten. Es ist nun auch ein Ergebnis mit Larnaca dabei. „Das ist doch im Südteil“, denke ich noch, „hilft uns nicht“. Ein paar Sekunden später fällt der Groschen und die Idee ist geboren: Larnaca-München, Direktflug mit Lufthansa. Es gibt sogar noch Tickets. Aber geht das überhaupt, in Nordzypern landen und später vom Südteil abfliegen? Ich suche weiter. Ein paar haben das tatsächlich schon gemacht. In einem der Berichte finde ich eine Empfehlung für einen Taxifahrer im griechischen Teil samt Telefonnummer. Ich kontaktiere ihn über Whatsapp, es geht auf Mitternacht zu. Er schreibt zurück, dass ein Grenzübertritt samt Gepäck für Touristen zumindest bis vor Corona möglich war, aber momentan jedenfalls nicht für Einheimische, abholen kann er uns somit nicht. Ob wir derzeit überhaupt rüber können, kann er nicht mit Sicherheit sagen. Ich soll versuchen, amtliche Informationen im Internet zu finden und dann ein Taxi vor Ort, das uns zur „grünen Grenze“ bringt. Also suche ich hektisch nach offiziellen Stellen und dort nach neuesten Informationen zur Lage. Ich kann jedenfalls keine Hinweise finden, dass es nicht möglich wäre, was ich als gutes Zeichen werte. Nun brauche ich ein Taxiunternehmen in Nordzypern. Die Männer unter den ersten beiden gewählten Nummern sprechen offenbar nur türkisch. Dann fällt mir die Quittung der letzten Fahrt wieder ein. Unser Fahrer sprach doch zumindest ein bisschen Englisch? Ich rufe die Nummer auf dem Papier an, der Mann am anderen Ende versteht mich. Ja, er kann uns zur Grenze bringen. Kostet zwar etwas mehr als üblich, dafür kennt er einen Kollegen im Südteil, der uns auf der anderen Seite aufsammeln könnte und zum Flughafen bringen. Er sagt, dass er ihn zu erreichen versucht und sich meldet.
Hoffnung keimt auf, ich buche auf gut Glück schon mal die Flüge, bevor es zu spät ist. Die Pegasus-Tickets storniere ich lieber noch nicht – falls es ein Problem an der Grenze gibt, ist das möglicherweise unsere letzte Rettung. Kurz darauf klingelt das Telefon mit der erlösenden Meldung „Geht klar“. Ich gebe noch die Zeiten durch und frage nach den Taxikosten im Südteil. 50 Euro soll die Weiterfahrt kosten. Mir ist schwindlig vor lauter Schlafmangel, Trubel und Aufregung, kann aber trotzdem wieder nur schlecht schlafen.

Samstag, 14. März: Auf nach Larnaka
Wir begeben uns zur vereinbarten Zeit an die Rezeption. Das Zimmer müssen wir nicht bezahlen, wohl aber Nachtmahl und Telefonkosten. Vor dem Hotel treffen wir wieder die beiden Engländer von gestern. Sie erzählen, dass jetzt dann gleich der Pegasus-Bus kommt und wir heute wohl alle ausfliegen können. Ich überlege kurz, aber der Direktflug ist wohl die bessere Wahl. Kurz darauf ist der Bus tatsächlich da, der Fahrer will auch gleich unsere Koffer einladen. Ich sag ihm, dass wir mit dem Taxi an den Flughafen fahren, was er gar nicht verstehen kann. Da kommt gottseidank unser Taxi auch schon. Beim Einsteigen ruft der ebenfalls erschienene Pegasus-Agent noch herüber, ob wir denn nun mitfliegen oder nicht. Ich beschließe, ihn nicht gehört zu haben, dann fahren wir auch schon los. Heute wieder bestes Wetter. Wäre ich etwas ausgeschlafener und nicht so aufgeregt, könnte ich es genießen. So aber denke ich nur die ganze Zeit „Lieber Gott, lass jetzt nur nichts schiefgehn“.
Am Grenzübergang Kermia Crossing angekommen, lässt uns der Fahrer aussteigen. Hier ist es offenbar möglich, die Grenze mit dem Auto zu überqueren, allerdings ist heute kein Mensch unterwegs, wir sind ganz allein auf weiter Flur. Vor lauter Aufregung vergesse ich beinahe, das Taxi zu bezahlen. Die grüne Grenze ist hier nur vielleicht 150m breit, auf beiden Seiten ein Kontrollpunkt. Die Türken winken uns durch. Dann gehen wir mit unseren Rollkoffern Richtung Süden, wie über ein Flughafenrollfeld. Auf einem der Koffer „reitet“ unser Kleinster. In meinen Schläfen hämmert es, der griechisch-zyprische Kontrollpunkt ist in Sichtweite, darüber die europäische Flagge. Die Grenzbeamten mustern uns interessiert, werfen jedoch lediglich einen flüchtigen Blick auf unsere bordeaux-farbenen Reisepässe, man will uns wohl nicht grundlos zu nahe kommen. Dann kommt noch die Temperaturkontrollstelle, ich befürchte, dass das Thermometer beim Kleinen anschlägt, er hat gefühlt immer noch etwas Temperatur. Doch alles geht glatt. Und an der nächsten Querstraße steht tatsächlich ein Taxi, das auf uns wartet. Welche Erleichterung! Ich frage den Taxifahrer nach dem Fahrpreis, er meint „80 Euro“. Deutlich mehr, als sein Kollege am Telefon meinte. Bin nicht in Stimmung für eine Diskussion, nehme mir aber vor, das später noch anzusprechen. Ich lasse mich an einem Geldautomaten vorbeifahren, um für Notfälle gerüstet zu sein. Kaum Menschen unterwegs. Was auffällt ist, dass ich hier im europäischen Teil kaum etwas entziffern kann, wegen der kyrillischen (?) Schrift. Im türkisch-sprachigen Teil war zumindest das Lesen kein Problem. Irgendwie komisch.
Eine dreiviertel Stunde später sind wir in Larnaca am Flughafen. Beim Bezahlen gebe ich dem Taxifahrer 50 +30 Euro für die Fahrt und sage „und 30, weil er uns so schnell und problemlos an den Flughafen gebracht hat“. Wir kommen noch kurz ins Gespräch und er erzählt, dass er heute schon einige Touristen für über 100 Euro zum Flughafen gebracht hat. Offenbar gute Zeiten für’s Geschäft mit Menschen, die einfach nur raus wollen.
Zu guter Letzt ist der Lufthansa-Flug auch pünktlich und es gibt keine weiteren Probleme. Mir fällt ein Riesen-Steinbrocken vom Herzen, als das Flugzeug endlich abhebt. Diese Ferien waren am Ende so aufregend, dass von Erholung nicht viel übriggeblieben ist.

Sonntag, 15. März
Am nächsten Tag erhalten wir die gute Nachricht, dass auch meine Schwägerin, die die letzten Wochen in Ecuador war, nach Spanien zurückfliegen konnte. Sie hat allerdings Erkältungssymptome, Husten und Fieber, als Sie zuhause ankommt. Es geht ihr wochenlang ziemlich schlecht, man stellt Wasser in der Lunge fest. Ein Corona-Test wird aber nicht gemacht.
Meinem Schwiegervater in Ecuador geht es zunehmend schlechter. Er kommt schließlich gegen seinen Willen ins Krankenhaus und verstirbt am Montag, 30.März. Auch hier wird kein Test gemacht. Kurz darauf geht es einem Schwager in Guayaquil ebenfalls sehr schlecht. Er bekommt keine Luft mehr, braucht Sauerstoff – es gibt aber keine Gasflaschen mehr. Wir schaffen es schließlich doch auf Umwegen, eine zu organisieren, er kommt gerade noch durch.

Ursprünglich sollte das ein Reisebericht werden, wir hatten ja doch noch Einiges gesehen – aber das ist im Vergleich zu den Ereignissen einfach in den Hintergrund getreten.
Mit dem Abstand von ein paar Jahren kann man sich kaum noch erinnern, wie das ist, in einer Pandemie zu sein. Das Leben geht (für die, die’s schaffen) weiter, gnadenlos.